Vitromusée Romont
Stangenglas

Stangenglas

Schweiz / Süddeutschland, 1. Drittel 16. Jh.
Grünes Glas, Ergänzung in Kunstharz
H 23,5 cm
Leihgabe Historisches Museum Basel, 1895.55

Wie im Text zu den Exponaten Nuppenbecher und Krautstrunk erwähnt, wurden europäische mittelalterliche Gläser in der Literatur noch über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus meist als relativ primitive Produkte beschrieben. Diese Einschätzung beruhte auf ungenügender Materialkenntnis. Eine völlig neue Sicht ergab sich durch die 1988 im Rheinischen Landesmuseum Bonn und im Historischen Museum Basel gezeigte Ausstellung « Phoenix aus Sand und Asche ». Dort konnte überzeugend demonstriert werden, dass entgegen der bisherigen Vorstellung in mittelalterlichen Glashütten zum Teil Stücke hergestellt wurden, die höchsten Ansprüchen Genüge leisteten. Es wäre ja auch erstaunlich gewesen, wenn neben all den kunsthandwerklichen Spitzenleistungen auf verschiedensten Gebieten – nicht zuletzt auch bei den prachtvollen Kirchenfenstern von Kathedralen – speziell Glasgefässe als einzige Gattung schlicht primitiver ausgefallen wären. Zeugen für die hohe Qualität mittelalterlicher Gläser sind die hier gezeigten drei Nuppenbecher und das Stangenglas, die für den Gebrauch im Alltag hergestellt wurden.

Unter den Gläsern mit Nuppen sind hohe Stangengläser viel seltener intakt erhalten geblieben als Becher, die zum Teil als Reliquienbehälter in Altären eingemauert überleben konnten. Und während in Europa Nuppenbecher in kontinuierlicher typologischer Entwicklung vom 13. bis in 16. Jahrhundert hergestellt wurden, kamen Stangengläser mit Nuppen erst im späten 15. Jahrhundert auf (abgesehen von einem lokalen Sondertyp, der in Böhmen im 14. Jahrhundert in Gebrauch war).

Das hier gezeigte Stangenglas wurde schon 1895 für das Historische Museum Basel erworben, von einem Vorbesitzer im schweizerischen Mittelland. Da in dieser Region bei archäologischen Grabungen mehrmals Fragmente ähnlicher Stangengläser zutage kamen, ist es wahrscheinlich, dass sie in lokalen Glashütten produziert wurden, eventuell in einem der Juratäler. Leider fehlen bisher Ausgrabungen an Hüttenplätzen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit auf Schweizer Gebiet, deren Fundmaterial den Beweis für diese Vermutung bringen könnte.

© Foto: Vitromusée Romont / Erwin Baumgartner