Vitromusée Romont
Krautstrunk

Krautstrunk

Süddeutschland / Schweiz, um 1500
Grünes Glas
H 10,7 cm
Privatsammlung

Wie im Text zu den Exponaten Nuppenbecher erwähnt, wurden europäische mittelalterliche Gläser in der Literatur noch über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus meist als relativ primitive Produkte beschrieben. Diese Einschätzung beruhte auf ungenügender Materialkenntnis. Eine völlig neue Sicht ergab sich durch die 1988 im Rheinischen Landesmuseum Bonn und im Historischen Museum Basel gezeigte Ausstellung « Phoenix aus Sand und Asche ». Dort konnte überzeugend demonstriert werden, dass entgegen der bisherigen Vorstellung in mittelalterlichen Glashütten zum Teil Stücke hergestellt wurden, die höchsten Ansprüchen Genüge leisteten. Es wäre ja auch erstaunlich gewesen, wenn neben all den kunsthandwerklichen Spitzenleistungen auf verschiedensten Gebieten – nicht zuletzt auch bei den prachtvollen Kirchenfenstern von Kathedralen – speziell Glasgefässe als einzige Gattung schlicht primitiver ausgefallen wären. Zeugen für die hohe Qualität mittelalterlicher Gläser sind die hier gezeigten drei Nuppenbecher und das Stangenglas, die für den Gebrauch im Alltag hergestellt wurden. Drei davon haben auf wundersame Art fünfhundert und mehr Jahre unbeschädigt überlebt.

Nördlich der Alpen waren in der Zeit um 1500 die sogenannten Krautstrünke neben verschiedenartigen Rippenbechern die bei weitem häufigsten Trinkgläser. Aus archäologischen Grabungen sind Fragmente zehntausender Exemplare nachzuweisen, mehrere hundert sind intakt erhalten. Diese verdanken ihr Überleben meist der Tatsache, dass sie als Behälter für Reliquien dienten, die in jeden Altar eingemauert werden mussten und erst nach langer Zeit – meist anlässlich von Baumassnahmen – entdeckt wurden.

Ihren Namen haben die Becher wegen der Ähnlichkeit mit einem entblätterten Kohlkopf, einem Krautstrunk. Bei sehr unterschiedlicher Grösse sind ihnen eine gebauchte Wandung und eine leicht ausbiegende Lippe gemeinsam. Meist ist am Übergang zur Lippe ein Faden horizontal umgelegt. Die Nuppen können sehr unterschiedlich gross sein, ihre Anzahl schwankt stark, liegt im Durchschnitt aber zwischen zwölf und vierundzwanzig. Zum Vergleich: Nuppenbecher aus dem 13. Jahrhundert können bis zu über zweihundert kleine Nuppen aufweisen. Normalerweise ist die Wandung von Krautstrünken glatt, in wenigen Fällen leicht vertikal gerippt.
Beim vorliegenden Stück hat sie ausnahmsweise ein Rautenmuster. Durch diese Anreicherung der Dekoration hat der Glasbläser eine ähnliche Wirkung erzielt, wie sie bei vielen zeitgleichen handwerklichen Objekten zu beobachten ist, die eine durchaus opulente Ausstrahlung haben.

© Foto: Vitromusée Romont / Erwin Baumgartner