
Fussbecher
Venedig oder Façon de Venise, erste Hälfte 16. Jh. Farbloses Glas, Gold, Vergoldung teilweise berieben
H 36,3 cm
Privatsammlung
Vielerorts in Europa wurden seit der Antike Gläser für den Alltagsgebrauch oder für repräsentative Zwecke hergestellt. Es gab aber anscheinend kein Zentrum, das über längere Zeit für die Entwicklung der Produktion bestimmend war. Anders ist das spätestens seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und bis gegen das Ende des 17. Jahrhunderts; damals war Venedig der Ort, wo die damals in ganz Europa und darüber hinaus am höchsten geschätzten Gläser entstanden. Sie wurden auf der Insel Murano in vielen Werkstätten hergestellt. Die Abnehmerschaft reichte vom gehobenen Bürgertum bis zu höchsten kirchlichen und weltlichen Würdenträgern.
Besonders begehrte Produkte wurden naturgemäss von konkurrierenden Glashütten imitiert, nachempfunden oder dem Geschmack der regionalen Kundschaft angepasst. Solche Gläser werden normalerweise als Façon de Venise bezeichnet. Die Unterscheidung zwischen diesen und Produkten aus Venedig war allerdings bereits für zeitgenössische Glasmacher und Glashändler schwierig bis unmöglich, auch, weil trotz Verboten venezianische Glasmacher vielfach emigrierten.
Als Fussbecher bezeichnete Gläser, die aus drei Teilen – einem hochgezogenen Fuss, einem meist hohlen Nodus (Knauf) und einer trompetenförmigen Kuppa (Kelch) – bestehen, waren offensichtlich sehr beliebt und sind relativ zahlreich erhalten. Wegen ihrer stattlichen Erscheinung – der englische Glasforscher Robert Charleston nannte sie treffend « stately in appearance » – mögen sie sorgfältiger behandelt worden sein als ‹ ordinäre › Trinkgläser.
Seit langer Zeit wurden Beispiele des hier gezeigten Typus’ meistens der Glashütte von Hall in Tirol zugeschrieben. Das dürfte so nicht zutreffen, sind doch schon aus den Jahren vor 1534, als die besagte Glashütte ihre Tätigkeit aufnahm, Fussbecher bekannt, etwa von Darstellungen auf italienischen Gemälden aus den 1520er Jahren. Venezianische Glashütten waren sicherlich an der Produktion beteiligt, was auch archäologische Funde aus der Lagune belegen. Der Ursprung liegt also nicht in Hall, was nicht heisst, dass dort nicht auch solche Gläser hergestellt worden sein könnten, gleich wie in weiteren Glashütten Europas, die à la Façon de Venise arbeiteten.
Weil der Typus des Fussbechers offensichtlich so beliebt war, existieren bis heute relativ viele Exemplare in mehreren Ausführungsvarianten. Der Nodus kann glatt, vertikal gerippt oder mit einem Rautenmuster versehen sein, dasselbe gilt für die Kuppa, wobei dort zusätzlich auch Warzenmuster belegt sind. Zudem kommen Vergoldungen – speziell des Nodus – sowie Malereien auf der Kuppa und in seltenen Fällen auch auf dem Fuss vor. Der hier gezeigt Fussbecher hat mit mehr als 36 cm eine ungewöhnliche Grösse. Normalerweise sind ähnlich aufgebaute Vergleichsstücke zwischen 16 und 20 cm hoch.