
Pokal
Böhmen oder Sachsen, 2. Viertel 18. Jh.
Farbloses Glas
H 23,7 cm
Vitromusée Romont, VMR VO 161
Wie bei den Exponaten Fussbecher mit Deckel und Konfektschälchen handelt es sich auch hier um ein Stück, bei dem Erfahrungen, die im 16. Jahrhundert bei Schliff und Schnitt von Edelsteingefässen – zum Beispiel aus Bergkristall – gemacht wurden, auf die Bearbeitung von Glasgefässen übertragen wurden. Das betrifft vor allem die Möglichkeit, feine Motive mittels Tiefschnitt in Oberflächen einzuarbeiten. Während im 17. Jahrhundert die führenden Glasschneider in Nürnberg arbeiteten, ging um 1700 das Primat an Böhmen und dann an Schlesien über. Beim hier gezeigten Pokal wurde eine Dekorvariante gewählt, bei der alle bearbeiteten Stellen abschliessend poliert wurden.
Dieser wohl in Böhmen oder in Sachsen entstandene Pokal wird hier aus zwei Gründen vorgestellt: einerseits, weil die Technik des Dekors sich von derjenigen der zwei schlesischen Gläser in der selben Vitrine stark unterscheidet, andererseits, weil sein Lebensweg zeigt, welche Zufälle bei der Überlieferung von Artefakten mitspielen können.
Die beiden schlesischen Stücke sind mit einer Kombination von Schliff und Schnitt dekoriert. Die feinen Motive sind mit kleinen rotierenden Metallrädchen in die Glasoberfläche eingeschnitten und vorwiegend matt belassen worden, während die meist geometrischen Flächen mit grösseren Scheiben geschliffen und anschliessend poliert wurden. Ein völlig anderer Eindruck entsteht beim hier gezeigten Pokal, bei dem alle bearbeiteten Flächen mit Absicht nicht matt belassen, sondern poliert wurden. Dadurch passt sich der gesamte Dekor optisch der Struktur der unbehandelten Oberfläche an, was der Einheitlichkeit des Erscheinungsbildes zugute kommt.
Der Pokal ist wohl im 2. Viertel des 18. Jahrhunderts entstanden, ist also jetzt zwischen 250 und 300 Jahre alt. Das heisst, dass er zehn bis zwölf Generationen überlebt hat. Überlegt man, wie leicht Gläser im Gebrauch zerbrechen, wie viele entsorgt werden, wenn sie nicht mehr der Mode entsprechen oder durch Naturkatastrophe oder Kriege zerstört werden, so ist es erstaunlich, dass das Glas noch unbeschädigt existiert. Dazu kommt noch der spezielle Umstand, dass der Pokal – wohl vor längerer Zeit – von Europa nach Argentinien gelangte; er wurde dort von einem schweizerisch-argentinischen Doppelbürger in Buenos Aires in einem Ganthaus aus einem Nachlass erworben, in die Schweiz verbracht, hier auf einer Brocante von einem Fachkundigen erkannt und in der Folge dem Vitromusée Romont vermittelt.