
Humpen
Herstellungsort unbekannt, wohl 2. Hälfte 19. Jh.
Farbloses Glas, Gold, Email, Vergoldung teilweise berieben
H 19,5 cm
Vitromusée Romont, VMR VO 164
Bei der Einordnung dieses Humpens stellt sich die Frage, ob es sich dabei um ein Original aus dem 17. Jahrhundert handelt, um eine Nachempfindung aus der Zeit des Historismus (siehe dazu den entsprechenden Text zu Deckelhumpen), oder aber schlicht um eine Fälschung eines Glases aus der Barockzeit. Fälschungen entstanden – und entstehen – tendenziell immer dann, wenn auf dem Kunstmarkt die Nachfrage grösser ist als das Angebot. Das Phänomen lässt sich speziell bei emailbemalten Stücken über lange Zeit beobachten. Es ist nicht einfach, eine Zuweisung zu einer der drei erwähnten Kategorien vorzunehmen, hier erlauben aber verschiedene Indizien ein klares Urteil.
Ein dem hier vorgestellten Humpen sehr ähnliches Glas gelangte 1955 aus dem Bestand eines bekannten New Yorker Antiquitätenhändlers in die Sammlung des weltweit grössten Glasmuseums, des Corning Museum of Glass in den USA. Es trägt die Jahreszahl 1690 und wurde vom Museum zunächst auch als Erzeugnis aus diesem Jahr eingestuft, so auch 1965 in der bekanntesten Publikation zum Thema des emaillierten Glases (Axel von Saldern, German Enameled Glass, Corning 1965, S. 374). Einige ähnliche Stücke wurden in den 1980er Jahren auch von grossen Auktionshäusern und Glashändlern ins 17. Jahrhundert datiert. Das hier vorgestellte Beispiel, dasjenige in Corning und die weiteren ähnlichen Humpen stammen aber mit Sicherheit nicht aus dem 17., sondern aus dem 19. Jahrhundert; die Spätdatierung ist heute – auch vom Corning Museum of Glass – allgemein akzeptiert. Grund dafür sind einige wenige Überlegungen. Erstens fallen die grossen, flachen, mit Emailfarben dekorierten Nuppen im unteren Teil der Wandung auf; dieses Element lässt sich an Gläsern aus dem 17. Jahrhundert nicht nachweisen. Zweitens sind die Jahreszahlen – 1646, 1652, 1663, 1670, 1676, 1679, 1690 – bei den grundsätzlich ähnlichen Humpen zu unterschiedlich. Beim vorliegenden Exemplar sind ausserdem die Motive der Emailmalerei und die Inschriften vorwiegend von Originalen des 18. Jahrhunderts übernommen worden. Unter weiteren Anhaltspunkten für eine Fälschung ist anzuführen, dass die ’Handschrift’ des Emailmalers bei allen auch noch so verschieden datierten Exemplaren sehr ähnlich bleibt, obschon die Gläser vorgeblich über den langen Zeitraum von 1646 bis 1690 dekoriert wurden.
Der Humpen ist ein gutes Beispiel, um auf das Problem von Fälschungen aufmerksam zu machen, die es selbstverständlich auch bei Gläsern gibt. Gefälscht wurden – und werden – Stücke aus allen Epochen bis hin zu solchen aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Um sich dagegen zu wappnen, ist eine äusserst intensive und lang anhaltende Beschäftigung mit Gläsern und deren Entstehungsumständen Voraussetzung.